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Für bessere Löhne braucht es mehr Druck auf den Kanton

(fel) Der Fachkräftemangel ist in aller Munde – auch unsere Organisationen spüren ihn, teils heftiger, teils weniger heftig. Es gibt viele Ansatzpunkte, mit denen er bekämpft werden kann. Auch mit dem Lohn kann man vieles steuern, doch ist die Abhängigkeit vom Kanton gross. Wir haben uns mit Alexandra Akeret, der Gewerkschaftssekretärin vom VPOD Ostschweiz, dazu unterhalten.

Der Fachkräftemangel ist auch in unserer Branche ein Thema, wenn auch nicht so extrem wie z.B. in der Pflege. Es gibt viele Hebel, wo man ansetzen kann, zum Beispiel beim Lohn. Die letzte Lohnrunde verlief im Kanton SG sehr enttäuschend: 2.1 %, wovon 1.5 % für den Teuerungsausgleich und 06. % für allgemeine Lohnerhöhungen. Frau Akeret, wie fällt Ihre Beurteilung der Situation aus? Was hat der vpod im Kanton SG in Bezug auf den Sozialbereich getan, um für bessere Löhne zu kämpfen?

Alexandra Akeret: So wie die Lohnrunde gelaufen ist, war ein Skandal. Es war sehr ernüchternd, als der Kantonsrat die Vorschläge der Regierung über den Haufen geworfen hat. Im Rahmen der Personalverbändekonferenz (PVK) haben wir die Budgetdebatte sehr genau verfolgt. Nach dem Entscheid des Kantonrats stand die Frage im Raum, organisieren wir eine Aktion? Eine Demonstration? Wir kamen dann aber zum Schluss, dass wir die Leute nicht mobilisieren können, weil für viele die Situation offenbar noch zu wenig dramatisch ist. Wir markierten dann Präsenz, indem wir jedem einzelnen Kantonsrat/jeder einzelnen Kantonsrätin einen Brief schrieben und eine Medienmitteilung machten. Leider nützte dies nichts in unserem bürgerlich dominierten Kanton.

Die Lohnsumme, die unseren Organisationen zur Verfügung steht, wird mehr oder weniger gesteuert durch die Leistungsvereinbarungen (LV). Wie können/sollen wir mit dem Kanton dieses Jahr verhandeln, damit wir 2024 adäquate Löhne zahlen können? Was empfehlen Sie uns?

Alexandra Akeret: Im Grunde genommen muss man jetzt schon anfangen, die Lohnverhandlungen im Herbst vorzubereiten. Ich meine jetzt nicht nur Ihre Branche, sondern alle Branchen, die in den kantonalen Personalverbänden vertreten sind. Alle sind vom Fachkräftemangel betroffen, auch die Polizei oder die Lehrpersonen, und die Pflege sowieso. Seitens PVK werden wir diesen Herbst lauter sein. Es wäre wichtig, dass möglichst viele Institutionen, die eine LV mit dem Kanton haben zusammenstehen und Druck machen.

Wir wollen ja nicht einfach eine Sonderbehandlung oder ein Sonderzüglein, aber trotzdem interessiert uns vor allem der Sozialbereich und die Lohnentwicklung in unserer Branche. Wie erreichen wir, dass sich an der unbefriedigenden Situation etwas ändert?

Alexandra Akeret: Das ist eine gute Frage. Wenn ich so mit Ihnen rede, realisiere ich gerade, dass es noch nie ein Gespräch zwischen dem vpod und Regierungsrätin Laura Bucher gab, die ja für das Thema Behinderung zuständig ist. Im Bildungsbereich gibt es regelmässig Gespräche mit Regierungsrat Stefan Kölliker. Es wäre durchaus sinnvoll, das ebenso in Ihrem Bereich zu machen. Ich gehe auch davon aus, dass Laura Bucher offen dafür wäre, denn im Kontext der Pflegeinitiative ist sie sofort auf uns zugekommen und hat gefragt, was das Departement tun könne. Das betraf aber natürlich den Altersbereich. Es gab dann auch ein gutes Gespräch mit den verschiedenen Akteuren. Ich werde auf Laure Bucher zu gehen.

Und dann würde es auf der Hand liegen, dass wir als INSOS SG-AI auch vertreten wären, allenfalls zusammen mit anderen Akteuren.

Alexandra Akeret: Genau. Ich werde der Sache auf jeden Fall nachgehen.

Wenn soziale Organisationen als NGO gelten, verzeichnen wir gesamtschweizerisch seit 2015 einen Reallohnverlust von 3.4 % (Studie Büro Bass/vpod_NGO). Wissen Sie, ob diese Zahl auch für den Kanton SG stimmt? Wenn Ja, würden Sie uns empfehlen, dass die aufgelaufene Teuerung auch in den Leistungsvereinbarungen zu berücksichtigen, sprich neben dem vollen Teuerungsausgleich auch die ausstehende Teuerung der Vorjahre zu verlangen?

Alexandra Akeret: Angesichts der starken Inflation im Jahr 2022 dürfte ein Reallohnverlust in der genannten Grössenordnung auch im Kanton St. Gallen eingetreten sein. Viele soziale Einrichtungen, die sich über Leistungsverträge finanzieren, stehen in Zeiten starker Teuerung oft noch schlechter da als beispielsweise Kantonsangestellte, weil der Umgang mit der Teuerung in vielen Leistungsverträgen nicht geregelt ist.
Und, ja! Es muss Druck aufgebaut werden, indem man sagt, sonst unterschreiben wir die LV nicht. Im Grunde genommen läuft das ähnlich wie in einem Betrieb: Dort soll man sich nicht als einzelne Person wehren, sondern als Gruppe, wenn man Erfolg haben will. Wenn Ihre Branche sich geschlossen weigern würde, die LV zu unterschreiben, dann könnte eventuell eine Wirkung erzielt werden. Der Kanton braucht die Institutionen ja.

Wir sind gegenwärtig damit konfrontiert, dass v.a. die Jungen hohe Einstiegslöhne verlangen, die wir aber nicht zahlen können, ohne das ganze Lohngefüge durcheinanderzubringen. Es gibt kaum Spielraum, die Löhne anzupassen. Wie würden Sie mit der Situation umgehen?

Alexandra Akeret: Von diesem Problem ist nicht nur Ihre Branche betroffen, sondern es ist ein wiederkehrendes Problem, das auch mit dem NeLo zusammenhängt. Das Problem ist, dass man keine automatische Lohnentwicklung mehr hat. Man ist darauf angewiesen, dass der Kantonsrat eine anständige Lohnrunde spricht. Dies tut er aber mit seinen ständigen Sparpaketen nicht, also gibt es keine Lohnentwicklung. Das geht gar nicht.

Das NeLo ist zwar für unsere Branche nicht verbindlich, unsere Empfehlungen orientieren sich aber am NeLo. Es ist jetzt nicht anzunehmen, dass es so schnell ein neues Lohnsystem geben wird bzw. die Einstiegslöhne korrigiert werden, weil sich das auf das ganze System auswirken würde. Oder täusche ich mich da?

Alexandra Akeret: Das ist bestimmt so. Das NeLo ist ja noch sehr neu. Es wurden einige Feinjustierungen vorgenommen, wir sind auch in der sogenannten Referenzfunktionenkommission vertreten, wo noch einige Anpassungen gemacht werden konnten. Das Problem aber, abhängig vom bürgerlich dominierten, sparenden Kantonsrat zu sein, bleibt.

Was könnte denn sonst ein Hebel sein, um die Löhne zu verbessern, vor allem mit Blick auf die Generation Z, die teilweise extreme Lohnvorstellungen hat und die man ja auch an Bord holen will bzw. an Bord holen muss?

Alexandra Akeret: Wir müssen auf unterschiedlichen Ebenen und mit langem Atem für eine Besserstellung der sozialen Berufe kämpfen. Wir müssen beispielsweise verstärkt aufzeigen, wie wichtig die gesamte Branche für unsere Gesellschaft ist – eigentlich hat uns Corona ja vor Augen geführt, dass die Tätigkeiten im Sozialbereich zu den unverzichtbaren gehören. Dass die Löhne zu tief sind in Anbetracht der Verantwortung für Individuen und für die gesamte Gesellschaft. Und in Anbetracht der hohen Qualifikation, die man für einen Abschluss in einem Sozialberuf mitbringen muss. Letzteres könnte mit Lohnvergleichen aufgezeigt werden. Auch in den öffentlichen Lohnsystemen müssen wir uns für eine stärkere Anerkennung der psychischen – aber an vielen Orten auch der körperlichen – Belastungen in den fraglichen Berufsfeldern einsetzen.

Die Generation Z will ja nicht nur signifikant mehr Lohn, sondern auch keine geteilten Dienste, keine Wochenend-Arbeit, keinen Nachtdienst. Und das gilt ja eigentlich nicht nur für die Jungen, sondern ist ein aktuelles gesellschaftliches Phänomen. Wie kann aus Ihrer Sicht verhindert werden, dass das Personal in andere Branchen abwandert mit besseren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen?

Alexandra Akeret: Natürlich stehen auch die Arbeitgebenden in der Pflicht, für attraktive Arbeitsbedingungen zu sorgen. Da gibt es sicher bei vielen Optimierungsbedarf. Ich würde empfehlen, mit den jungen Mitarbeitenden zusammenzusitzen und nach Lösungen zu suchen. Es ist ihnen ja auch klar, dass die ganzen 24 Stunden abgedeckt werden müssen.

Und auch das geht sehr oft nicht ohne Geld.

Alexandra Akeret: Ja, klar, aber ich verstehe auch nicht, warum es in Ihrer Branche nicht mehr Betriebe mit einem GAV gibt. Es ist eine Tatsache, dass jene Betriebe, die einen GAV haben, in der Regel – aber keine Regel ohne Ausnahme – die besseren Arbeitsbedingen haben als jene ohne GAV. Ich denke da an grosszügigere Regelungen punkto Vaterschaftsurlaub, Pausenregelungen, Treueprämien…

«Gewerkschaften und die GAVs sorgen für höhere Löhne und verringern Ungleichheit» - stimmt diese Aussage, die ich auf Ihrer Website gefunden habe, auch für unsere Branche? Verdienen Mitarbeitende, die bei uns in einem Betrieb mit einem GAV arbeiten, tatsächlich besser?

Alexandra Akeret: Das kann ich nicht sagen. Wir haben tatsächlich wenige Mitglieder, die in Institutionen ohne GAV arbeiten. Es ist aber schon so, dass auch die Betriebe mit GAV kaum mehr als die kantonale Lohnrunde anbieten können, da sie über die LV auch nicht mehr vom Kanton erhalten. Sie gehen aber sicher nicht darunter. Zudem ist die Gewerkschaft immer die die Lohnverhandlung mit einbezogen und garantiert, das Beste rauszuholen. Aber wenn die Lohnrunde abhängt von der Politik bzw. von Leistungsvereinbarungen wie bei Ihrer Branche, dann können auch GAV-Betriebe nicht mehr geben.

«Die Lehre zahlt sich zu wenig aus» - das ist eine Aussage des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Dieser verlangt mindestens Fr. 5000.— pro Monat. Gibt es Erhebungen, wie die Situation in unserer Branche im Kanton SG aussieht?

Alexandra Akeret: Ich weiss, dass eine Institution so eine Erhebung in Auftrag gegeben hat. Die Ergebnisse sind aber noch nicht da. Ich kann Sie informieren, sobald ich die Ergebnisse habe.

Der Bedarf an Personal wird in unserer Branche zunehmen – das kann vom aktuellen Planungsbericht 2021-2023 abgeleitet werden, der mit einem wachsenden Bedarf an Angeboten und Dienstleistungen rechnet. Der Kanton hat eine Gewährleistungspflicht. Was muss der Kanton bzw. die Politik tun, damit dieser Bedarf an Personal gedeckt werden kann?

Alexandra Akeret: Ich kann eigentlich nur das bisher Gesagte wiederholen. Es braucht jedes Jahr eine anständige Lohnrunde und es braucht gute Arbeitsbedingungen, damit sich Ihre Branche gut aufstellen kann. Dafür muss sich Ihre Branche gut vernetzen und gemeinsam Druck machen.