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Fachkräftemangel - wo den Hebel ansetzen?
(fel) Unabhängig von der Branche ist landauf, landab vom Fachkräftemangel die Rede. Im Behindertenbereich ist die Situation noch nicht so gravierend wie in der Pflege, der Gastronomie oder der IT-Branche. Noch gibt es keine aktuellen Studien zur Situation im Behindertenbereich, aber doch deutet alles darauf hin, dass sich der Fachkräftemangel auch bei uns akzentuieren wird.
ARTISET hat sich eine Übersicht über die zu Verfügung stehende Datenlage verschafft und diese in der Bildungskommission diskutiert. Die letzte Befragung der Arbeitnehmenden im Sozialbereich von SAVOIRSOCIAL datiert aus dem Jahr 2017. Damals waren 2/3 der Befragten überwiegend oder völlig zufrieden. Zufrieden zeigte man sich mit dem Lohn, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mit dem Betriebsklima, mit dem Stellenprofil und den Aufstiegsmöglichkeiten. SAVOIRSOCIAL beabsichtigt, die Studie zu aktualisieren; aktuell wird eine Projektskizze erarbeitet, wie die Studie genau aufgegleist werden soll.
Die zweite Befragung der Lernenden Fachfrau/Fachmann Betreuung und der Studierenden der höheren Fachschulen im Sozialbereich, die SAVOIRSOCIAL 2020 durchgeführt hat, zeigt, dass die Jungen andere Erwartungen haben: Beim Verbesserungsbedarf wird an erster Stelle mehr Lohn genannt, dann folgen weniger unregelmäßige Arbeitszeiten, ein besseres Betriebsklima, ein höherer Anteil betreuerischer Arbeiten, weniger Zeitdruck, bessere Karrieremöglichkeiten und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Als SAVOIRSOCIAL 2018 eine Studie zur Abwanderung aus dem Sozialbereich gemacht hat, kamen fast identische Ergebnisse heraus: Gründe für die Abwanderung waren die berufliche Weiterentwicklung, der Lohn, der Handlungsspielraum, das Arbeitsklima, gesundheitliche Belastungen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Statistisch gesehen hat sich die Quote der Ausbildungen der Fachrichtung Behinderung in den letzten zehn Jahren kontinuierlich leicht erhöht, lässt sich aber nicht vergleichen mit dem Kinderbereich, wo es eine Verdoppelung der Ausbildungen gab. Auch die Anzahl Studierende HF Soziales hat in den letzten Jahren zugenommen.
Die Fachhochschule Nordwestschweiz hat 2021 eine Befragung zur Belastung der Fachpersonen in der Sozialen Arbeit aufgrund der Corona-Pandemie durchgeführt. Resultat war, dass 69 % der Befragten aus dem Behindertenbereich die Situation als belastend oder sehr belastend erlebten.
Betrachtet man die Situation im Kanton SG, kann man davon ausgehen, dass der Bedarf an ausgebildetem Personal in den nächsten Jahren zunehmen wird. In den Jahren 2018-2020 wurde das Angebot an Plätzen um insgesamt 6.2 % ausgebaut, betroffen waren v. a. der Bereich Wohnen (11.5 %) und der Bereich TSmL (6.5 %). Im Planungsbericht 2021-2023 geht man von einem jährlichen Zuwachs von 1.2 % für den Bereich Wohnen, von 1.4 % im Bereich TSoL und von 0.9 % im Bereich TSmL aus. Ins Gewicht fällt zum einen die Überalterung der Gesellschaft, so dass ältere Menschen mit Unterstützungsbedarf länger in einer Einrichtung verbleiben, und zum andern brauchen mehr Personen mit einer psychischen Beeinträchtigung Unterstützung, und zwar vor allem junge Menschen, die dann entsprechend lange eine Dienstleistung in Anspruch nehmen, wenn es nicht gelingt, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu begleiten. Die Ambulantisierung der Dienstleistungen wird zudem zu einem weiteren Fachkräftebedarf führen, denn Personen, die bisher keine spezialisierten Dienstleistungen in Anspruch nahmen, weil sie z. B. von Angehörigen betreut werden, werden zukünftig ihren Bedarf geltend machen.
Wie kann es also gelingen, genügend und geeignete Fachkräfte zu finden, die dann nach der Ausbildung oder später nicht in andere Berufsfelder abwandern? Wichtig ist, sich frühzeitig mit dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel auseinanderzusetzen und den Handlungsbedarf zu bestimmen. Gefragt sind neben den OdAs und Bildungsanbietern, die für zeitgemässe Ausbildungen zu sorgen haben, in erster Linie die Politik, die für gute Rahmenbedingungen sorgen muss, und die Betriebe, die mit attraktiven Arbeitsbedingungen mit Programmen zur Vereinbarkeit von Privatleben, Bildung und Beruf viel erreichen können.
Lukas Müller-Brunner, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizerischen Arbeitgeberverbands und Ressortleiter Sozialpolitik, hat in einem Interview mit der Stiftung Wisli am 7. September, 2022, darauf hingewiesen, dass es in erster Linie darum geht, dass die Angestellten die Arbeitsplätze gar nicht erst verlassen. Matchentscheidend dafür sei die Weiterbildung und die Prävention. Die Früherkennung sei die kostengünstigste Massnahme, um zu verhindern, Angestellte zu verlieren. Besonders betont hat Lukas Müller-Brunner zudem, dass es darum gehe, andere Anstellungsformate zu finden, die es z. B. auch Frauen mit Kindern erlaube, (wieder) in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.
Die Betriebe sind in den beiden Kantonen SG und AI unterschiedlich vom Fachkräftemangel betroffen, denn die verfolgten Strategien unterscheiden sich. Informelle und nicht repräsentative Vergleiche zeigen, wo der Hebel jeweils angesetzt wird. Wer ein solides Benchmarking bez. Löhnen will, dem bietet z.B. die Perinnova GmbH, die branchenspezifische Lohnvergleiche durchführt, ihre Expertise an. INSOS SG-AI beobachtet und analysiert die Lage fortlaufend, nimmt entsprechende Signale seiner Mitglieder ernst und wird bei Bedarf eine entsprechende Strategie entwickeln.